Heute Journal, ZDF, vom 6. August 2023
Anlässlich des am AfD-Parteitag beschlossenen Europawahlprogramms interviewte Moderator Christian Sievers den Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei und stellvertretenden CSU-Parteivorsitzenden Manfred Weber. Als EVP-Vorsitzender steht Weber im EU-Parlament einer Sammelfraktion vor, die sich aus christlich-demokratischen und bürgerlich-konservativen Mitgliedsparteien zusammensetzt. Die AfD ist nicht Mitglied der EVP, sie gehört der Fraktion Identität und Demokratie (ID) an, mit der die EVP nicht zusammenarbeitet. Dennoch fordert Sievers von Weber fortwährend, sich von der AfD abzugrenzen – mit einer merkwürdigen Zuschreibung: „Sie bauen eine europäische Brandmauer auf (…). Gleichzeitig ist es aber so, dass Ihre AfD mit den Rechtsextremen gemeinsam stimmt. Wie passt das zusammen?“. „Ihre AfD“? – Auch wenn das vermutlich ein Versprecher war und Sievers die EVP meinte, suggeriert er eine Nähe zwischen EVP und AfD, die nicht existiert – abgesehen davon, dass Weber schon zu Anfang des Interviews das Europawahlprogramm der AfD als Kampfansage klar ablehnt. Zur Annäherung zwischen EVP und der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) bemerkt Sievers: „Die einen sind sehr weit rechts – das geht für Sie; die anderen sind sehr weit rechts – das geht für Sie nicht. Ist das nicht ein schmaler Grat und eine Argumentation, die schwierig zu erklären ist (…)?“ Weber leistet Hilfestellung mit klaren Kriterien. Wer erstens zur Ukraine steht, zweitens die EU nicht abschaffen will und drittens Rechtsstaatlichkeit und freie Medien anerkennt, den schließt die EVP grundsätzlich nicht von einer möglichen Zusammenarbeit aus. Keine weitere Nachfrage, Sievers bedankt sich für das Interview.
Das Narrativ der Brandmauer nach rechts ist allgegenwärtig im ÖRR. Aber wie die Brandmauer definiert ist, welche Positionen diesseits der Mauer noch legitim sein dürfen – darauf gibt es keine Antworten. Man fragt sich, was Sievers stattdessen mit seiner Art des Fragestellens bewirken wollte? Eine abenteuerliche Begründungskette von christlich-demokratischen (EVP) über rechtskonservative Politikinhalte (EKR) hin zum Rechtsextremismus (ID) offenzulegen? Man stelle sich das Gegenbeispiel vor: Frau Lang, die Grünen fordern auf ihrem Parteitag mehr Klimaschutz. Fürchten Sie nicht, dass sich durch die Parteitagsbeschlüsse Ihre Letzte Generation zu weiteren Straftaten aufgefordert fühlen könnte? Es wäre nicht weniger an den Haaren herbeigezogen.
Wir fragen: Was sollen unbegründete, suggestive Zuschreibungen wie „Ihre AfD“ in einem Interview einer Hauptnachrichtensendung bewirken?
Wir fordern: Bei allem Bekenntnisdruck zur Brandmauer sollte konservativen Vertretern wie Weber die Gelegenheit eingeräumt werden, Positionen zu erläutern, die noch diesseits der sogenannten Brandmauer liegen. Diese Gelegenheit wird hier erneut verpasst.
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