Heute Journal, ZDF, 8. September 2023

Gestern noch musste R21 feststellen, dass weder ARD noch ZDF von der ersten Sitzung des Sonderausschusses Schönbohm berichtet hatten. Heute ist es fast noch schlimmer: Der Zuschauer weiß zwar jetzt, dass es diese Sitzung und auch eine zweite am Donnerstag gegeben hat. Erhebliche Zusatzinformationen, etwa dass Schönbohm das ZDF auf 100.000 Euro zu verklagen gedenkt, fehlen jedoch. Und nicht nur das: Slomka weist Fehler des ZDF bzw. der Redaktion Böhmermanns zurück. Das Interview Marietta Slomkas mit ihrem SPD-Gesprächspartner nimmt Züge eines Unterbietungs-Wettkampfes zwischen ZDF und Innenministerium im Umgang mit Fehlern an.
Das Heute-Journal macht den Sachverhalt nun zum Thema Nummer Eins. Der Fokus liegt auf dem vermuteten Amtsmissbrauch Faesers und ihrem erneuten Nicht-Erscheinen zur Sondersitzung. Informationen zur Vorgeschichte sind indessen karg: "Arne Schönbohm verlor den Präsidentenposten, nachdem eine Satiresendung im ZDF über seine Nähe zu einem Verein mit Beziehungen zu Russland berichtet hatte", lautet der Off-Kommentar. Mehr nicht. Informationen zu den Schadensersatzforderungen Schönbohms gegen das ZDF unterbleiben. Lediglich die Klage gegen das BMI erwähnt Slomka.
Es folgt ein Live-Interview mit dem Innenausschussvorsitzenden Lars Castellucci (SPD). Schon diese Konstellation ist grenzwertig, interviewt damit doch eine Repräsentatin des einen Beteiligten (ZDF) einen Abgeordneten des anderen (der Regierungspartei, die die Innenministerin stellt). Den von der Union beantragten Sonderausschuss deklariert er denn auch als Wahlkampf-getrieben ohne wahren Erkenntnismehrwert. Nachrichtendienstliche Ermittlungen Faesers gegen Schönbohm habe es nicht gegeben. Stattdessen sei, so Castellucci, Vertrauen in der Öffentlichkeit verloren gegangen durch "eine Sendung, die ich auch nicht gut fand". Er sagt: "Das konnten wir uns in der Situation nicht erlauben, dass man das Vertrauen nicht hat." Die Versetzung Schönbohms in eine viel kleinere Behörde bescheinigt er seiner Ministerin als "anständigen Umgang" mit der Sache.
Was will uns der Innenausschussvorsitzende damit sagen? Dass seine Chefin aufgrund von Medienberichten einen Beamten entlässt, weil durch ungeprüfte Anschuldigungen Vertrauen verloren gegangen sei, statt den Sachverhalt vorher zu prüfen? Dass sie nicht in der Lage ist, Verdachtsberichterstattung von der disziplinarrechtlichen Sachebene zu trennen? Vertrauen und Format hätte Faeser damit bewiesen, sich vor ihren Beamten zu stellen und dem Mediendruck standzuhalten, solange die Vorwürfe eines Satirikers sich nicht erhärten. Existenzen aufgrund medialer Suggestion zu entlassen, ist ein zentrales Problem der politischen und der Medienethik.
Denn zugleich hält sich das ZDF durch seine Berichterstattung auf Distanz zu einem hochproblematischen Vorgang, der erst durch einen politischen Aktivisten in Diensten des öffentlich-rechtlichen Senders entstanden ist. Stattdessen empört sich Marietta Slomka: "Sagen Sie jetzt, das seien Falschanschuldigungen gewesen? Das sind doch zwei verschiedene Paar Schuhe: Ein kritischer Bericht [1], an dem die Redaktion übrigens nichts zurückweist, auf der einen Seite, und dienstrechtliche Verfehlungen, die eine Ministerin zur Entlassung bewegen, auf der anderen". Offenkundig hat das ZDF nichts verstanden.
Wir fragen: Warum fehlt – wieder – in der Berichterstattung des ZDF die Erwähnung der Tatsache, dass die Ermittlungen gegen Schönbohm eingestellt wurden und dass er Schadensersatzansprüche gegen das ZDF erhebt? "Er fühlt sich in seinem Ansehen geschädigt und deshalb klagt er ja auch. Deshalb ist er sauer", stellt Slomka fest. Doch "sauer" ist er nicht nur auf das BMI, sondern in höherem Maße auch auf das ZDF, das die gesamte Angelegenheit initiiert hat.
Wir fordern: Das ZDF muss sein Fehlverhalten aufarbeiten. Hier geht es nicht um einen handwerklichen Fehler der Böhmermann-Redaktion, es geht nicht darum, dass auch hochgradig suggestive Berichterstattung von der journalistischen Freiheit gedeckt sein mag, und es geht auch nicht um Fragen der Verschwiegenheit zu juristischen Prozessen. Das ZDF hat durch Böhmermanns Insinuation einen politischen Prozess in Gang gesetzt, der durch das Fehlverhalten der Ministerin die Reputation einer Person schwer beschädigt hat. Es geht um grundsätzliches Vertrauen in die Seriosität eines öffentlich-rechtlichen Senders, der sich seiner Verantwortung stellen muss.
[1] Böhmermanns-Sendung, die Slomka lediglich als kritischen Bericht etikettiert, ist bspw. bei Youtube untertitelt mit: "Wer ist in Deutschland dafür [Cybersicherheit] verantwortlich? Und was macht denn der rote Faden schon wieder hier? Die Spur führt … in den Kreml!" (vgl. Youtube)
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