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Mitte-Studie: ÖRR dramatisiert "Rechtsdrift"

Heute Journal u.a., ZDF, vom 21.September 2023


Im Zweijahres-Rhythmus stellt die Friedrich-Ebert-Stiftung seit 2006 ihre sogenannten "Mitte-Studien" vor, die medial stark rezipiert werden. Die neuesten Ergebnisse präsentierte das Forscherteam am vergangenen Donnerstag. Laut eigener Auskunft ist es "Ziel der Studie zu erkunden, wie es um demokratische und demokratiegefährdende Einstellungen in der Gesellschaft bestellt ist, insbesondere jenseits rechtsextremer Gruppierungen und Strukturen." (vgl. FES 2023 , S.3). Methodik und Aufmachung der Reihen-Studie stehen und standen bereits in der Kritik, reißerisch und belanglos zu sein [1].


Diesen Eindruck erwecken die Befunde zu Rechtsextremismus bei näherem Hinsehen erneut - zumindest im Vergleich zu dem Alarmismus, mit dem der ÖRR darüber berichtet. Andere starke Befunde zu Migrationskritik und wahrgenommenen Redeverboten, thematisiert der ÖRR nicht. Eine absolute Mehrheit der Befragten stimmt z.B. der Aussage zu: "In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden" (57 Prozent "eher ja" bis "voll und ganz“), eine große Mehrheit der Aussage: "In Deutschland kann man nicht mehr frei seine Meinung äußern, ohne Ärger zu bekommen" (37,8 Prozent "eher ja" bis "voll und ganz“). Nebenbei bemerkt, werden diese Aussagen innerhalb der Studie als Indikator für „völkisch-autoritär-rebellische“ Einstellungen gewertet (vgl. FES 2023, S.123).


Das ZDF hingegen kapriziert sich völlig unkritisch auf eine Zahl: acht Prozent. Acht Prozent der Befragten weisen manifest rechtsextreme Einstellungen auf. Wie ist diese Zahl einzuordnen? Das ZDF fällt ein Urteil, bevor es der Zuschauer tun kann: Die Mitte der Gesellschaft driftet ins Rechtextreme. Das ist Framing. Woran ist es erkennbar?

  1. An einer tendenziösen Anmoderation Dunja Hayalis, die die Studienmethodik verzerrt darstellt.

  2. Durch Weglassen anderer, starker Zustimmungsbefunde, die das drastische Bild des Rechtsrucks schmälern.

  3. Durch dramatisierende Sprache, die in einem Nachrichtenbericht nichts zu suchen hat.

  4. Mittels opportuner Zeugen, die die Dramatik bestätigen.

  5. Durch die Ignoranz der Studienkritik und Delegitimierung der Kritiker.

zu 1. und 2. Anmoderation / Weglassen

In der Studie werden rechtsextreme Einstellungen anhand von achtzehn Aussagen und deren Zustimmung bzw. Ablehnung gemessen. Dunja Hayali eröffnet den Beitrag, indem sie solche Aussagen zitiert, die besonders drastisch auf Rechtsextremismus deuten, aber sehr wenig Zustimmung haben. Andere Aussagen mit höheren Zustimmungswerten lässt sie weg. Trotzdem resümiert sie daraus, dass "jeder Zwölfte" (8 Prozent) folgendes Weltbild teilt: "Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen" (tatsächlich 3%), "Es gibt wertvolles und unwertes Leben"(tatsächlich 5,8%), "Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten"(tatsächlich 2,8%), "Diktatur ist mitunter die beste Staatsform" (falsch zitiert [2], tatsächlich 2,2%) "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert (tatsächlich 5,5%). Was Hayali weglässt, sind wiederum andere Aussagen, z.B.: "Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben" (16 %) oder "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen" (12,8%). Der konkret rechtsextreme Wert der letztgenannten Items ist wissenschaftlich genauso umstritten wie deren suggestive Formulierung [1]. Fest steht: Hayali führt hier eine dramatische Anmoderation durch, die statistisch nicht begründet ist. Und damit betreibt sie Framing.


zu 3. und 4. Dramatisierende Sprache / opportune Zeugen

In allen drei Abendnachrichtensendungen des ZDF [3] bzw. Berichten auf Webseiten [4] ist die Rede von "alarmierenden Zahlen" oder "zerbröselnden Grundwerten". In den Berichten heißt es "Rechtsextremismus sickert in die Gesellschaft ein", es gäbe eine "Drift ins Extreme". Wie weiter oben belegt, unterstützen die Befunde diese dramatisierenden Vokabeln nicht. Weiterhin werden Personen interviewt, die den Deutungsrahmen eines Rechtsrucks bestätigen, sogenannte opportune Zeugen: Eine Vertreterin des Vereins "Gesicht zeigen!", der Bundessprecher der "Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus" sowie der Sprecher des Städte- und Gemeindebundes, Alexander Handschuh. Alle berichten zu ihren Gewalterfahrung mit Rechtsextremismus aus dem Alltag. Unlauter ist aber, dass sie zum Teil explizite Verbindung zu den Studienergebnissen herstellen. Kritische oder mäßigende Stimmen kommen nicht zu Wort - eine Unwucht zugunsten der Rechtsalarmisten.


zu 5. Ignoranz der Studienkritik und -kritiker

Hayali sagt: "Bei manchen Menschen gibt es ja die Überzeugung, dass man in Deutschland nicht mehr alles sagen könne bzw. gleich als rechtsextrem gilt, wenn man nicht dem linken, dem woken oder Mainstream-Lager angehört. Und die ziehen dann auch solche Studien in Zweifel. Fragen wir nach bei Beate Küpper." Dieser Satz beinhaltet drei Probleme: eine Abwertung von Studienkritikern, eine verquere Vorstellung davon, dass Studienkritik allein durch ein Interview mit der Studienmacherin ausgehebelt werden kann und eine Ignoranz der Tatsache, dass laut FES Studie 37,8% der Menschen eher oder voll und ganz das Gefühl haben, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können (vgl. FES 2023, S.123). Das sind nicht "manche Leute". Manche Leute sind es, die manifest rechtsextrem zu sein scheinen.


Wir fragen: Die Aufgabe des ÖRR wäre es, dem Zuschauer mit differenzierten Informationen zur Studie zu versorgen, sodass er sich ein eigenes Urteil bilden kann. Und der ÖRR erhebt den Anspruch, Aussagen über die breite Mitte zu machen. Warum werden hier nur 8 Prozent der Befragten beleuchtet – und das mit einseitigen Informationen, einseitigen Deutungen und einseitigen Gesprächspartnern?


Wir fordern: erstens eine Darstellung der Studienkritik; zweitens innerhalb FES-Studienberichterstattung eine adäquate Darstellung der Mengenverhältnisse; drittens eine stärkere Betonung auf hoch ausfallende Befunde im Sinne der gesellschaftlichen Mitte. Der ÖRR hält es für nötig, 8 Prozent rechtsextreme Einstellungen, deren Erfassungsart strittig ist, zum Hauptthema zu machen. Der ÖRR verschweigt dagegen zum Beispiel die Tatsache, dass knapp zwei Drittel der Befragten fürchten, als Rassisten beschimpft zu werden und mehr als ein Drittel sich nicht traut seine Meinung zu sagen. Diese Mehrheit muss sich stattdessen von Hayali als "manche Leute" abwerten lassen.


[2] eigentlich lautet die Aussage "Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform" (vgl. FES 2023, S.64).

[3] "Heute um 19 Uhr"; "Heute Journal"; "Heute Journal Update", jeweils vom 21.9.23


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Unter dem Dach dieser Initiative werden zunächst zwei Projekte realisiert: Erstens erfolgt in einem ÖRR-Blog eine systematische Analyse der täglichen politischen Berichterstattung des ÖRR insbesondere zu den oben genannten Kofliktthemen. Einseitige und/oder sachlich falsche Berichte werden wir regelmäßig dokumentieren. Diese Befunde werden darüber hinaus in einem Newsletter „Denkzettel ÖRR“ monatlich zusammengefasst und bewertet. Darauf aufbauend erfolgt zweitens eine längerfristig angelegte Studie, die sich dem Thema „Framing im ÖRR“ widmet.

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Der Fokus der Beobachtung liegt dabei auf einem festen Sample reichweitenstarker Nachrichtenformate aus ARD (Tagesschau/Tagesthemen), ZDF (Heute/Heute Journal), Deutschlandfunk (Informationen am Morgen/Mittag/Abend) und dem Jugendformat Funk (u.a. Podcast „Die Woche“). Hinweise und Beschwerden über die Berichterstattung auch aus anderen Sendeformaten nehmen wir gerne unter der E-Mailadresse redaktion@denkfabrik-r21.de entgegen.

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