Tagesthemen, ARD, vom 25. Oktober 2023
Der Meinungsbeitrag der BR-Journalistin Julia Ruhs in den Tagesthemen fand große Beachtung. Sie setzt sich darin kritisch mit der Migrationspolitik der Bundesregierung auseinander. Anlass war die zeitliche Verlängerung der stationären Grenzkontrollen zur Eindämmung irregulärer Migration.
Sehr viele positive Reaktionen in sozialen Medien zeigen, dass kritische Zuschauer den ÖRR nicht pauschal abweisen. Vielmehr wissen sie Ausgewogenheit im Diskurs zu schätzen, sobald der ÖRR sie herstellt. Dabei zeigen sich die Zuschauer verblüfft und positiv überrascht:
„DANKE! Endlich klare und wahre Worte im ÖRR. Man ist es nicht mehr gewöhnt, dass dort ausgesprochen wird, was die Mehrheit des Volkes denkt, sich mittlerweile aber nicht mehr auszusprechen getraut, um nicht in die rechte Ecke abgestempelt und diffamiert zu werden.“
„Richtig guter und zutreffender Kommentar. Danke dafür, auch mal nicht linke Sichtweisen dort zu platzieren.“
„Mutiger Beitrag für ÖRR-Verhältnisse.“
„Sehr schön gesagt. Ich bin überrascht, dass die ARD auch mal andere Meinungen zulässt.“
„Unerwartet für die Tagesthemen aber auf den Punkt gebracht.“
Warum also ist dieser Beitrag ein Beispiel für die Repräsentation einer liberal-konservativen Meinung im ÖRR und damit eines Gegengewichts zu links-grünen Narrativen?
1. Gegennarrativ: Migrationskritik offen thematisiert
Ruhs äußert eine, vielfach als unterrepräsentiert wahrgenommene, regierungskritische Meinung. Unter anderem sagte sie: „Die Bundesregierung kann also noch so fleißig abschieben. Es kommen viel mehr nach und bleiben als gehen. Wichtig wäre: Migranten ohne Bleibechance kommen gar nicht erst über die Grenze. Auch um denen, die schon da sind, die Gewissheit zurückgeben: Diesem Staat sind seine Grenzen nicht egal.“
2. Argumentation: Nationale Denkweise
Ruhs leitet aus einer „nationalen“ Denkweise bei der Klimapolitik Gleiches für die Migrationspolitik ab. Sie sagt: „Wir müssen beim Thema Migration zukünftig nationaler denken“. Die Übertragung der Argumentationslogik vom einen auf den anderen Politikbereich ist ein Kunstgriff, über den zwei wichtige Leistungsprinzipen des ÖRR-Journalismus sichtbar werden: Vielfaltssicherung und Integration. Denn wer die Notwendigkeit nationalen Handelns beim Klima erkannt hat (CO2-Ziele), kann ihn vielleicht auch beim Thema Migration anerkennen (Grenzsicherung). Ruhs bietet damit einen Ansatzpunkt für Anschlussdiskussion.
3. Abgrenzung zum Rechtspopulismus
Ruhs gelingt die Abgrenzung zum Rechtspopulismus in zweierlei Hinsicht: erstens hebt sie die oft als rechtsextrem verbrämte „nationale“ Denkweise durch ihren Vergleich zur Klimapolitik aus den Angeln. Zweitens immunisiert sie sich gegen Applaus von der sogenannten falschen Seite: „Das (i.e. Grenzkontrollen) ist nichts Unmenschliches, sondern langfristig das Klügste. Es bewahrt den sozialen Frieden und hält Rechtspopulisten klein.“
Wir fordern:
Die veröffentlichte Meinung muss der öffentlichen Meinung angepasst sein. Die hohe Resonanz auf Julia Ruhs Kommentar zeigt: Die Passung stimmt nicht ganz. Viele Zuschauer sind nämlich positiv überrascht und fühlen sich durch Ruhs in ihrer migrationskritischen Meinung endlich gehört und repräsentiert. Wir fordern, dass der ÖRR derartige Meinungen regelmäßiger berücksichtigt, damit sie nicht als selten, unerwartet und überraschend, sondern als stabiler Teil des existierenden demokratischen Meinungsspektrums wahrgenommen werden.
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